Repräsentierende Wahrnehmung – Bedeutung und Anwendung in systemischen Aufstellungen


Hast du dich jemals gefragt, warum Stellvertreter in Aufstellungen Dinge spüren können, die sie eigentlich nicht wissen können?

Das Phänomen der repräsentierenden Wahrnehmung ist eines der faszinierendsten Elemente systemischer Aufstellungen. Menschen nehmen Gefühle, Körperempfindungen und Gedanken wahr, die mit anderen Personen oder Dynamiken in Verbindung stehen – ohne dass sie vorher etwas darüber wussten.

 

Dieses Phänomen ist für viele aber auch rätselhaft. Wie kann es sein, dass jemand plötzlich Gefühle, Impulse oder Körperreaktionen verspürt, die mit einer fremden Person oder einem unbekannten System in Verbindung stehen?

 

➡️ Wissenschaftliche Erklärungsmodelle aus der Psychologie, Neurowissenschaft und Systemtheorie liefern interessante Ansätze zur Erklärung dieses Phänomens

Was ist repräsentierende Wahrnehmung?

Repräsentierende Wahrnehmung beschreibt die Fähigkeit von Stellvertretern, sich in eine Rolle oder Position in einer Aufstellung hineinzuversetzen und dabei körperliche, emotionale oder intuitive Empfindungen wahrzunehmen.

 

📌 Wichtige Merkmale:

  • ✔️ Die Wahrnehmung tritt spontan auf – ohne Vorwissen über die Person oder das System.
  • ✔️ Sie kann sich durch körperliche Empfindungen, Emotionen oder innere Bilder äußern.
  • ✔️ Sie ermöglicht tiefe Einsichten in systemische Zusammenhänge.

Wie funktioniert repräsentierende Wahrnehmung?

  • Körperliche Empfindungen: Stellvertreter nehmen Druck, Wärme oder Verspannungen wahr, die der Position entsprechen, die sie einnehmen.
  • Emotionale Reaktionen: Plötzliche Traurigkeit, Wut oder Freude treten auf – oft synchron zur Dynamik der aufgestellten Person.
  • Innere Bilder & Impulse: Bewegungsdrang, symbolische Vorstellungen, energetische Spannungen, spontane Aussagen entstehen.

💡 ->Zu den Beispielen



Wissenschaftliche Erklärungen


🧠 1. Spiegelneuronen & Empathie-Forschung

📌 Die Spiegelneuronentheorie bietet eine mögliche Erklärung für die repräsentierende Wahrnehmung.
🔬 Spiegelneuronen sind Nervenzellen im Gehirn, die aktiviert werden, wenn wir eine Handlung beobachten oder selbst ausführen. Sie spielen eine Schlüsselrolle bei Empathie & sozialer Resonanz.

 

💡 Hypothese:

  • In systemischen Aufstellungen könnten Spiegelneuronen die emotionale und körperliche Resonanz auf das System verstärken.
  • Stellvertreter nehmen unbewusst emotionale Signale wahr, die im Feld vorhanden sind.

📖 Studie:

  • Rizzolatti et al. (1996) entdeckten Spiegelneuronen erstmals in Affenhirnen.
  • Spätere Forschungen (Gallese et al., 2004) bestätigten, dass auch Menschen über ein hoch entwickeltes Spiegelneuronensystem verfügen.

2. Systemtheorie & Morphische Felder (Sheldrake)

📌 Die Systemtheorie besagt, dass Systeme aus vernetzten Einheiten bestehen, die durch unsichtbare Wechselwirkungen beeinflusst werden.

  • Rupert Sheldrake (1981) entwickelte die Theorie der morphischen Felder, die beschreibt, dass Informationen und Erinnerungen in einem kollektiven Feld gespeichert werden.
  • Menschen können durch systemische Methoden Zugang zu diesen Feldern erhalten.

💡 Hypothese:

  • Stellvertreter „lesen“ unbewusst systemische Informationen aus einem übergeordneten Feld.
  • Emotionen, Traumata oder Dynamiken eines Systems werden nicht nur individuell, sondern kollektiv gespeichert.

📖 Studien & Kritik:

  • Wissenschaftlich umstritten, aber von vielen systemischen Aufstellern als erfahrungsbasiert bestätigt.
  • Ähnlichkeiten mit Carl Jungs Theorie des kollektiven Unbewussten.

 

3. Embodiment & Somatische Marker

📌 Die Embodiment-Theorie besagt, dass Körper & Geist untrennbar verbunden sind und unser Verhalten sowie unsere Wahrnehmung beeinflussen.

  • Antonio Damasio (1994) führte das Konzept der "somatischen Marker" ein – das bedeutet, dass unser Körper unbewusst auf emotionale Informationen reagiert, bevor sie bewusst erkannt werden.
  • In systemischen Aufstellungen erleben Stellvertreter oft körperliche Reaktionen, die mit den Emotionen einer anderen Person korrelieren.

💡 Hypothese:

  • Emotionale Resonanz wird körperlich spürbar, noch bevor sie kognitiv verarbeitet wird.
  • Stellvertreter erleben die „somatischen Marker“ einer aufgestellten Person – ähnlich wie in therapeutischen Prozessen der Körperpsychotherapie.

📖 Studie:

  • Damasio (1996) fand heraus, dass Menschen mit geschädigtem präfrontalem Kortex Probleme haben, emotionale Entscheidungen zu treffen – weil ihnen die somatischen Marker fehlen.

 

Repräsentierende Wahrnehmung in Online-Aufstellungen

Viele fragen sich, ob dieses Phänomen auch in Online-Formaten funktioniert.

Neueste Forschungen zur nonverbalen Kommunikation & Quantenphysik liefern spannende Erkenntnisse:

  • Neurobiologische Studien zeigen, dass Menschen auch über digitale Kanäle emotionale Signale unbewusst wahrnehmen können.
  • Systemische Resonanz ist nicht an einen physischen Raum gebunden, sondern kann über Energie, Intention und Wahrnehmung übertragen werden.

📖 Erfahrungen aus der Praxis zeigen:

  • Stellvertreter erleben in Online-Aufstellungen die gleichen körperlichen und emotionalen Reaktionen wie in Präsenzformaten.
  • Kognitive Resonanz & systemische Felder sind unabhängig von der räumlichen Distanz aktiv.

🎯 Erfahrungen zeigen:

✔️ Stellvertreter berichten von intensiven Wahrnehmungen, die sich nicht von Präsenzaufstellungen unterscheiden.
✔️ Durch gezielte Fokussierung & verbale Anleitungen können Wahrnehmungen verstärkt werden.


Anwendungsbereiche

In Familienaufstellungen:

  • Stellvertreter können körperliche Empfindungen oder Emotionen erleben, die oft mit der aufgestellten Person übereinstimmen. Sie ermöglichen so ein tieferes Verständnis familiärer Dynamiken. 
  • Nutzen: Klärung von Generationenkonflikten, emotionale Verbesserung, neue Perspektiven.

In Organisationsaufstellungen:

  • Repräsentanten spüren Spannungen, Machtstrukturen, Rollenverhalten oder unbewusste Hierarchien innerhalb eines Teams.
  • Nutzen: Optimierung der Kommunikation, Konfliktlösung, bessere Führungskultur und Unternehmensstrukturen.

In Online-Aufstellungen:

  • Auch ohne direkten physischen Kontakt kann Repräsentierende Wahrnehmung durch gezielte Fokussierung und verbale Anleitungen auftreten.
  • Nutzen: Flexible Teilnahme, ortsunabhängige Klärung von Anliegen.

Warum ist repräsentierende Wahrnehmung wichtig?

✔️ Unbewusste Muster erkennen: Sie hilft, verborgene Konflikte und emotionale Blockaden sichtbar zu machen.
✔️ Tiefere Einsichten gewinnen: Sie ermöglicht tiefe Einblicke in unbewusste Dynamiken und eröffnet neue Perspektiven und Lösungsansätze für persönliche oder berufliche Herausforderungen.

✔️ Unabhängig von Informationen: Sie ist unabhängig von rationalem Wissen und basiert auf intuitiven Prozessen.

 

📌 Übung für dich:
Denke an eine Person, mit der du aktuell eine schwierige Beziehung hast. Welche Empfindungen treten in deinem Körper auf, wenn du dich in sie hineinversetzt?


Beispielhafte Anwendung in einer Aufstellung

Beispiel 1: Somatische Marker in einer Einzelaufstellung

Ein Teilnehmer stellt sein inneres Kind auf. Der Stellvertreter der in diesem Fall der Aufstellungsleiter selbst ist, fühlt sich plötzlich ängstlich, obwohl er keine Informationen über die Situation hatte – eine klassische Form repräsentierender Wahrnehmung.

 

➡️ Mögliche Erklärung für die Beispiele: Die Spiegelneuronen und somatischen Marker aktivieren unbewusste Emotionen des Systems.

 

Beispiel 2: Morphische Felder in einer Organisationsaufstellung

Ein Stellvertreter für die Geschäftsleitung eines Unternehmens verspürt eine unerklärliche Enge in der Brust. Später stellt sich heraus, dass genau dieses Gefühl der CEO in der Realität beschreibt.

 

➡️ Erklärung: Die systemische Feldtheorie deutet darauf hin, dass emotionale Muster kollektiv gespeichert sind.


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Quellen:

  • Hartung, Stephanie & Remy, Regina (2020). Warum Aufstellungen Online funktionieren. Springer

  • Hartung, Stephanie (2018). Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung: Grundlagen für systemische Personal- und Organisationsentwicklung. Springer

  • Damasio, Antonio (1994): Descartes’ Error: Emotion, Reason, and the Human Brain.
  • Rizzolatti, Giacomo et al. (1996): Neuroscience & Mirror Neurons.
  • Sheldrake, Rupert (1981): A New Science of Life: The Hypothesis of Morphic Resonance.
  • Gallese, Vittorio (2004): Mirror Neurons and the Social Nature of Language.
  • Richardson, D. C., & Dale, R. (2005) Looking to understand: The coupling between speakers’ and listeners’ eye movements and its relationship to discourse comprehension. Cognitive Science, 29(6), 1045-1060.